„Wir genießen die Qualität der Entschleunigung, die uns die digitale Transformation im ländlichen Raum erlaubt“

Ein Gespräch über das Leben in der Gigabitgesellschaft mit Prof. Dr. Martina Klärle, Vizepräsidentin der University of Applied Sciences / Frankfurt und von 2016 bis 2019 Geschäftsführerin der Hessischen Landgesellschaft mit Sitz in Kassel

Frau Professor Dr. Klärle: Wo leben Sie, und wie leben Sie dort?

Ich lebe in dem kleinen Ort Schäftersheim. Der hat knapp 800 Einwohner, liegt in Baden-Württemberg und der nächste ICE-Halt ist eine halbe Stunde entfernt in Würzburg. Dort haben wir als Familie vor acht Jahren einen Hof erworben und umgebaut. Wir nennen ihn Hof 8. Die 8 steht für Achtsamkeit. Wir leben dort als Familie mit zwei Kindern im Alter von elf und fünfzehn Jahren. Der Hof selbst erfüllt mehr als den Plus-Energie-Standard. Wir produzieren im Hof 8 doppelt so viel Energie, wie wir verbrauchen. Dabei ist der Hof ein wirtschaftliches Zentrum in dem kleinen Ort mit einem von mir konzipierten und zur Verfügung gestellten E-Mobilitätspark für das Car-Sharing im Dorf, mit zwei barrierefreien Wohnungen, einer Hebammen-Praxis sowie einer Gesellschaft für Landmanagement und Umwelt geworden.

Frau Prof. Dr. Klärle, die Gigabitgesellschaft: Ist das nur ein Schlagwort? Wird sie erst noch kommen? Oder ist sie schon da?

Ja, freilich ist das auch ein Schlagwort, um eine Veränderung zu erklären. Eine Veränderung, die zwar längst schon begonnen hat, aber erst noch richtig an Fahrt und Volumen gewinnen wird in einer Art und Weise, die uns heute sicherlich noch gar nicht bewusst ist.

Wie werden wir die Beschleunigung hinein in die Gigabitgesellschaft zu spüren bekommen?

In jeder Lebenslage und relativ schleichend werden wir uns an die vielen neuen Annehmlichkeiten gewöhnen. Selbstfahrende Busse werden die Kleinen sicher vom Kindergarten abholen und nach Hause bringen. In der Schule werden die Kinder keine Bücher mehr mitschleppen müssen. Die analogen Bücher im Ranzen meiner Tochter wiegen immerhin 15 Kilogramm. Die Künstliche Intelligenz wird mir Alltagsentscheidungen abnehmen: Welchen Zug wähle ich wann? Welche Veranstaltung zu welchem Thema, das mich derzeit beschäftigt, werde ich besuchen? Welcher Pfarrer hält am Sonntag welchen Gottesdienst? Und rund um meine Reise bucht der Computer das E-Leihauto und das Hotel im Plus-Energie-Standard.

Im Supermarkt werden wir nicht mehr an der Kasse Schlange stehen, weil das Warenwirtschaftssystem in Zusammenarbeit mit der Gesichtserkennung realisiert hat, was wir kaufen mochten.

Und wer sich ein Haus bauen will, kann es sich in einem baurechtlich zulässigen System konfigurieren. Architekten werden von Algorithmen ersetzt und finden eine neue Herausforderung  in der Begleitung von Bauherren als Baupsychologe und Designer.

Zieht die Gigabitgesellschaft auch aufs Dorf?

Ja klar, da wohnt sie ja heute schon. Meinen Sie, ohne Datenverbindung könnten mein Mann und ich mit unseren Kindern unser Leben so führen, wie wir es tun? Wir fahren 5000 bis 10.000 Kilometer pro Woche zu 95 Prozent mit erneuerbaren Energien und können dennoch abends zu Hause sein. Und wenn ich doch einmal im Hotel übernachten muss, erzähle ich die Gute-Nacht-Geschichte eben digital. Meine Tochter fragt häufig: „Mama, bringst Du mich digital ins Bett?“ Dann stellt sie ihr Smartphone auf den Nachttisch, und ich bin dabei, wenn sie ihren Ranzen packt. Ich erzähle ihr eine Geschichte bis ich ihr gleichmäßiges Atmen höre und beruhigt spüre, dass sie schläft. Und damit die Smartphonenutzung nicht überhandnimmt, kann ich den Kindern ein Zeitkontingent auf dem Telefon einrichten.

Frau Prof. Dr. Klärle, zeichnen Sie bitte ein Bild vom Dorfleben in einer deutschen Mittelgebirgslandschaft, wie es sich am 8. März 2037 zutragen könnte?

Davon ausgehend, dass es uns gelungen ist, die Europäische Union und damit einen Garant für den Frieden erhalten zu haben, sind wir stark vernetzt. Einerseits hat die Geschwindigkeit, mit der wir und die Dinge miteinander kommunizieren, stark zugenommen. Andererseits genießen wir um so mehr die Qualität der Entschleunigung, die uns Menschen die digitale Transformation im ländlichen Raum erlaubt, und die uns allen die Chance gibt, die Lebensqualität dort, wo man sich am wohlsten fühlt, zu genießen. Ich finde Lebensqualität in der Natur und auf dem Dorf im Kreise meiner Familie mit viel digitaler Unterstützung.